Erstes
Industriedenkmal mit UNESCO-Prädikat
Völklinger
Eisenhütte und Quedlinburger Altstadt gehören zum Weltkulturerbe
Von Kurt Schlünkes
Zum
kulturellen Erbe der Menschheit zählen auch Denkmäler des
Industriezeitalters. Es sind Monumente, an denen die technische
Entwicklung einer Epoche und vor allem die Leistungen, die
Menschen alltäglich hierfür erbracht haben, anschaulich werden.
Sie stehen für die Kultur des Arbeitslebens. Aus gutem Grund
hat die UNESCO deshalb die Völklinger Hütte als erstes reines
Industriedenkmal in die Welterbeliste aufgenommen. Ebenfalls
mit dem Prädikat "Welterbe" ausgezeichnet wurde die über tausend
Jahre alte Fachwerkstadt Quedlinburg. Die Aufnahme beider
Denkmäler in die "Liste des Kultur- und Naturerbes der Menschheit"
erfolgte auf Beschluss des Zwischenstaatlichen Komitees der
UNESCO für das Welterbe auf seiner 18. Jahrestagung am 15.
Dezember 1994 in Phuket/Thailand. Deutschland ist jetzt mit
15 Denkmälern in der Welterbeliste repräsentiert.
Ein
stählernes Monument
Wer
nach Völklingen kommt, begegnet rostigem Stahl. Graue Industrielandschaft:
Die Hochofen-Skyline des Eisenhüttenwerks prägt das Stadtbild.
Laut einer Umfrage von RTL ist Völklingen die "hässlichste
Stadt Deutschlands". Das spricht wenig dafür, dass die Völklinger
Hütte in den weltkulturhistorischen Adelsstand erhoben wurde.
Aber müssen Denkmäler, damit sie zum kulturellen Erbe der
Menschheit gezählt werden, hübsch sein? Dass dies kein Kriterium
sein muss, beweist die Aufnahme der Völklinger Hütte in die
Welterbeliste der UNESCO. Die Authentizität ihrer technischen
Einrichtungen macht die Hütte zu einem einzigartigen Denkmal
der Industriegeschichte. Von den im 19. und 20. Jahrhundert
in Westeuropa und Nordamerika errichteten Eisenhütten ist
sie die einzige, die noch vollständig erhalten ist.
Der
saarländische Kulturminister Prof. Diether Breitenbach beurteilte
die Entscheidung der UNESCO als "einen Meilenstein in den
Bemühungen, den Bestand dieses technik-, wirtschafts- und
sozialgeschichtlich bedeutsamen Denkmals langfristig zu sichern".
Die
Völklinger Hütte steht für ein Jahrhundert Geschichte von
Arbeit und Stahl. 1873 wurde sie vom Kölner Ingenieur Julius
Buch gegründet. Unter der Leitung von Karl Röchling, der die
Hütte 1881 für 270.000 Mark erwarb, wurde Völklingen Deutschlands
größte Produktionsstätte für Eisenträger. Mit der Entwicklung
der Hütte zum industriellen Großunternehmen wurde aus Völklingen,
ehemals ein Dorf, eine mittlere Stadt. Arbeiter aus dem ganzen
Saarland siedelten sich in Völklingen an. In ihren besten
Zeiten haben 20.000 Stahlkocher dort lothringisches und schwedisches
Erz mit Hilfe saarländischer Kohle in Eisen umgewandelt. Die
Hütte war eine der modernsten Industrieanlagen in Europa.
Sie setzte technikgeschichtliche Meilensteine in der Eisenverhüttung.
Die erhaltenen Anlagen veranschaulichen alle wichtigen Stationen
einer historischen Roheisenproduktion. Vom Erzbunker über
die Kokerei und die Sinteranlage zur Rohstoffzubereitung und
Rohstofflagerung, über Hängebahnanlagen, Hochofengruppe, Trockengasreinigungen
und Gasgebläsehalle für die Roheisenerzeugung bis hin zu einer
historischen Walzenzugmaschine sind alle Bereiche der Eisenindustrie
erlebbar. Das Hüttengelände blieb im Zweiten Weltkrieg unzerstört,
der Saarstatus verhinderte die Demontage nach dem Krieg. Während
der Stahlkrise anfangs der siebziger Jahre wurden noch einmal
Milliarden zur Rettung der Hütte investiert. Doch schließlich
war das Ende der Hochofenzeit gekommen. Am 4. Juli 1986 war
die letzte Schicht, passierten die Hüttenarbeiter zum letzten
Mal das schwere Eisentor.
Die
UNESCO-Welterbeplakette ist auch eine Auszeichnung für die
Menschen, deren Leistungen die Hütte symbolisiert. Man mag
sie als einen grauen Industriekoloss bezeichnen, doch so mancher
kleine Knirps wird die Völklinger Hütte viel mehr bestaunen
als eine römische Basilika oder eine gotische Kathedrale,
hat doch hier in der Hütte der Opa einmal gearbeitet, am glühenden
Hochofen gestanden, im zugigen Möllerbunker, an der staubigen
Sinteranlage oder im dröhnenden Dauerlärm der Großgasmaschinen
im Gebläsehaus.
Kultur
im Bann der Industriekulisse
Mit
der Ernennung der Völklinger Hütte zum Weltkulturerbe geht
im Saarland eine lange Diskussion um die Frage "Was machen
wir mit dem rostigen Ding?" zu Ende. Immer wieder hatte es
in der Vergangenheit Stimmen für den Abriss gegeben. Aber
Stadt und Land haben die Einmaligkeit dieses Industriedenkmals
erkannt und sich für seinen Erhalt im Originalzustand eingesetzt.
Die Anlagen zur Roheisenerzeugung wurden bereits 1986 unter
Denkmalschutz gestellt. Nach dem Grundsatzbeschluss zur Erhaltung
der Hütte durch den Ministerrat des Saarlandes im Jahre 1992
wurden denkmalpflegerische Erhaltungs- und Pflegekonzepte
ausgearbeitet. Allen voran hat Johann Peter Lüth, als Landeskonservator
der oberste Denkmalschützer im Saarland, für die museale und
kulturelle Nutzung der Hüttenanlage plädiert. 1990 kehrte
die Kultur in die Hütte ein: Musik, Literatur, Kunst und Kino.
Die Gasgebläsehalle dient jetzt Ausstellungen und interdisziplinären
Workshops. "Steelopolis", das erste große Kulturspektakel
auf der Hütte, fand bundesweit Interesse. Die "Schichtwechsel"
so der Titel der regelmäßigen Festwochen auf der Hütte
ziehen Kulturinteressierte auch von außerhalb der Landesgrenzen
in den Bann der Industrie- und Technikkulisse. Auch im wirtschaftlichen
Bereich tut sich etwas: 1994 öffnete das Gewerbe- und Technologiezentrum
auf dem Hüttengelände seine Tore. Im ehemaligen Waschhaus
siedeln sich auch kleinere Betriebe an.
Hohe
Unterhaltskosten
Der
Erhalt eines Industriedenkmals ist teuer. Eigentümerin der
Völklinger Hütte ist die Landesregierung. Aber deren Haushalt
ist begrenzt. Die Stadt Völklingen mit 43.000 Einwohnern
und einer Arbeitslosenquote von über 15 Prozent kann
keine Mark dazugeben. Man hofft auf finanzielle Unterstützung
aus Bonn. Von der UNESCO ist kein Geld zu erwarten. Denn sie
muss noch für 440 andere Welterbestätten sorgen, und das Budget
des Welterbezentrums der UNESCO ist mit etwa 3,5 Millionen
Dollar für 1995 knapp bemessen. Nur ein Prozent des Pflichtbeitrags
der UNESCO-Mitgliedstaaten sowie freiwillige Beiträge und
Spenden fließen in den "Welterbefonds". Davon geht der allergrößte
Anteil in Entwicklungsländer, die ohne Hilfe mit der Rettung
ihrer Denkmäler überfordert wären.
Quedlinburg
ein mittelalterliches
Stadtdenkmal von Weltrang
Auch
Quedlinburg sieht sich mit der Erhaltung seines Welterbes
vor Probleme gestellt. Aber gerade in der Anerkennung Quedlinburgs
als Weltkulturerbe liegt eine Chance für die Zukunft. Die
UNESCO-Plakette ist auch ein Aushängeschild für den Tourismus,
so hofft man jedenfalls in der einstigen Industriestadt, in
der jeder vierte ohne Arbeit ist.
Die
Stadt, nur einen Hexensprung vom Brocken auf der östlichen
Seite des Harzes gelegen, hat wirklich einiges zu bieten.
Quedlinburg gilt mit seinen rund 1.300 Fachwerkhäusern aus
sechs Jahrhunderten und einer Reihe von Jugendstilbauten als
eines der größten Flächendenkmäler Deutschlands. Die Anerkennung
als Welterbestätte ist auch dadurch begründet, dass Quedlinburg
ein "außergewöhnliches Beispiel für eine europäische mittelalterliche
Stadt" darstellt. Der mittelalterliche Grundriss, der die
politische und wirtschaftliche Entwicklung vom 10. bis 19. Jahrhundert
dokumentiert, wurde bis heute erhalten. Im historischen Stadtkern
sind rund 800 Häuser als Einzeldenkmäler ausgewiesen. Als
"architektonisches Meisterwerk der Romanik" erachtet die UNESCO
die Stiftskirche St. Servatii.
Königsgrab,
Kirchenschatz, Krypta
Die
Stiftskirche, wichtigstes Monument Quedlinburgs, ist ein sichtbares
Zeugnis der sächsisch-ottonischen Dynastie. In ihrem Gründungsbau
wurden König Heinrich I. (936) und später auch seine Frau
Mathilde (968) beigesetzt. Neben Aachen und Halberstadt beherbergt
sie den wertvollsten Kirchenschatz des Mittelalters. Zu den
bedeutendsten Stücken gehören der Äbtissinnenstab von 999,
mehrere kostbare Reliquienkästen und das mit einem Prachteinband
versehene Adelheid-Evangeliar aus dem 10. Jahrhundert. Zu
den kunstgeschichtlich interessantesten Bauteilen der Stiftskirche
St. Servatii gehören die Krypta und die dort vorhandenden
Kreuzgratgewölbe, ihre Kapitelle und Wandmalereien aus dem
10. bis 12. Jahrhundert. Die weitgehend erhaltene Ausmalung
der Kryptagewölbe zeigt Darstellungen aus dem Alten und Neuen
Testament. Eine gotische Zutat ist der über der romanischen
Krypta erbaute Polygonalchor, der inschriftlich 1320 vollendet
war.
Von
der Geschichte geprägte Baukunst
Quedlinburg
ist über tausend Jahre alt. Erstmals wird Quitilingaburg in
einer Urkunde König Heinrichs I. aus dem Jahr 922 genannt.
Auf dem Schlossberg baute Heinrich I. eine Burg. Seine Frau
Mathilde erhielt den Ort als Witwensitz zugesprochen. Mathilde
selbst betrieb auf dem Burgberg die Einrichtung eines Damenstifts.
Das Stift, 936 gegründet und durch Heinrichs Sohn, Kaiser
Otto I., den Großen, mit umfangreichen Besitz ausgestattet,
entwickelte sich im Mittelalter zu einem der bedeutendsten
Reichsklöster. Bis zum beginnenden 13. Jahrhundert war Quedlinburg
häufiger Aufenthaltsort deutscher Könige und Kaiser, die hier
oft eines der höchsten kirchlichen Feste, das Osterfest, feierten.
Bis heute zeugt der Stiftsberg und seine Bebauung vom Glanz
des Königshofes.
Unter
Herrschaft des Reichsstiftes entwickelte sich Quedlinburg
zu einer geistlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Metropole.
Es entwickelte sich eine Kaufleutesiedlung, die sich bald
vom Stiftsberg ablöste und eine eigene Stadt bildete. 1426
trat Quedlinburg der Hanse bei. Die großen Kirchenbauten,
das Altstädter Rathaus und die Stadtbefestigung entstanden
in dieser Zeit.
Alte
Fachwerkstadt
Quedlinburg
ist typisch für die Entwicklung einer mittelalterlichen Stadt,
die aus einem Burgdorf und mehreren Ansiedlungen entstanden
ist. Altstadt und Neustadt verschmolzen 1330 zu einer Doppelgemeinde
mit gemeinsamer Stadtmauer. Dieses zusammenhängende städtische
Gefüge mit vier alten Pfarreien und den alten Fachwerkhäusern
bestimmen den Charakter des Ortes. Vom Schlossberg aus schaut
man auf ein schiefverwinkeltes Spitzgiebel- und Türmchengewirr.
Quedlinburg hat den größten Fachwerkbestand aller Städte in
der damaligen DDR. Der größte Teil dieser Bauten, etwa 80
Prozent, stammt zu gleichen Teilen aus dem 17. und 18. Jahrhundert.
Fast
alle älteren Fachwerkhäuser stehen in der Altstadt: 15 von
16 Bauten aus den Jahren 1545 bis 1597. Ein schönes Beispiel
aus dieser Zeit ist der "Alte Klopstock", ein Fachwerkbau
mit Erker und hölzernen Fenstergittern. Seinen Namen hat das
Haus von einem der berühmten Söhne Quedlinburgs, dem Odendichter
Friedrich Gottlieb Klopstock. Die Altstadt mit ihren engen,
gekrümmten Straßen und den schmalen Häusern mit ihren Vorkragungen,
Erkern und steilen Dächern wirkt mittelalterlich. Wie eine
andere Welt steht sie im Gegensatz zur Neustadt, für die breite
und gerade Straßen, große Grundstücke und jüngere Häuser mit
einheitlich flachen Fassaden typisch sind. Die ältesten Fachwerkhäuser
sind nur noch in Resten erhalten. Jedoch existieren noch zahlreiche
historische Bauten, die authentische Zeugnisse für Struktur,
Material und Handwerkstechniken sind. In ihren vielen kleinen
kunstvollen Details steckt ihr hoher Wert.
Der
historische Kern Quedlinburgs ist stark sanierungsbedürftig.
Infolge der einseitigen Baupolitik in der ehemaligen DDR mit
ihrer Orientierung auf industrielles Bauen wurde die Pflege
der Fachwerkhäuser vernachlässigt. Nur durch den Widerstand
der Bürger in der Zeit der politischen Wende im Herbst 1989
konnten großräumig geplante Abrisse im Nordteil der Altstadt
verhindert werden. Nach dem Abbruchstop erfolgten 1990 erste
Sanierungsarbeiten. Seitdem werden mithilfe von Förderprogrammen
zunehmend Fachwerkhäuser repariert und modernisiert. Rund
640 Millionen Mark sind bislang für die Sanierung veranschlagt.
Seit 1990 wurde nur ein Fachwerkhaus abgebrochen.
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veröffentlicht
1995 |
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