2002:
Jahr des Kulturerbes
Ein
Erfolgsjahr der UNESCO?
Von
Kurt Schlünkes
Die Generalversammlung der Vereinten Nationen hat das Jahr
2002 zum "Internationalen Jahr des Kulturerbes"
erklärt. Ziel dieses Internationalen Jahres ist es, öffentliches
Bewusstsein nicht nur für die Bedeutung des eigenen, nationalen
Kulturerbes, sondern auch für das Erbe anderer, fremder Kulturen
zu schaffen. Die Federführung für das Jahr des Kulturerbes
hat die UNO der UNESCO übertragen. Die Aktivitäten der Organisation
zum Internationalen Jahr 2002 stehen unter den Leitbegriffen
Dialog und Entwicklung.
In
der am 21. November 2001 verabschiedeten Resolution zum Internationalen
Jahr des Kulturerbes fordert die VN-Generalversammlung die
UNESCO dazu auf, "in Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten
und Partnerorganisationen des VN-Systems ihre Programme und
weltweiten Aktivitäten zum Schutz und Erhalt des kulturellen
Erbes zu verstärken". Die Mitgliedstaaten der UNO, zwischenstaatliche
Organisationen, NGOs und auch der Privatsektor werden dazu
aufgerufen, sich mit eigenen, auch finanziellen Beiträgen
an der Umsetzung des Internationalen Jahres 2002 zu beteiligen
und die Aktivitäten der UNESCO zu unterstützen.
Das
Mandat für Kultur wird neu gewichtet
Mit
dem Beginn des neuen Jahrtausends fällt der internationalen
Kulturpolitik innerhalb des VN-Systems und damit dem Mandat
der UNESCO eine zunehmend wichtige Rolle zu. Hatten die Vereinten
Nationen das Jahr 2000 zum "Jahr der Kultur des Friedens"
ausgerufen, 2001 zum "Jahr des Dialogs zwischen den Kulturen",
steht 2002 erneut unter dem Schwerpunktthema Kultur.
2002
feiert die Welterbekonvention der UNESCO ihr 30-jähriges Jubiläum.
Hierin liegt sicher auch ein Grund, weshalb die UNO dieses
Jahr zum Internationalen Jahr des Kulturerbes ausgerufen hat.
Sie zollt damit der UNESCO die gebührende Anerkennung für
die erfolgreiche Umsetzung des von ihr 1972 verabschiedeten
"Übereinkommens zum Schutz des Kultur- und Naturerbes
der Welt", dem bisher 168 Staaten beigetreten sind.
Die
Resolution der UNO-Generalversammlung zählt noch eine Reihe
weiterer internationaler Konventionen auf, die auch Ergebnisse
der UNESCO-Arbeit sind: die Haager Konvention zum Schutz von
Kulturgut bei bewaffneten Konflikten (1954), die Konvention
zum Verbot des illegalen Handels mit Kulturgut (1970) oder
auch die Empfehlung zur Wahrung des kulturellen Erbes in Volkskunst
und Brauchtum (1989). Ebenso bleibt das Programm der UNESCO
zur Bewahrung des mündlichen und traditionellen Kulturerbes
nicht unerwähnt. Nach der Proklamation der ersten 19 "Meisterwerke
traditioneller Weltkultur" im Mai 2001 plant die UNESCO
die Erarbeitung eines normativen Instruments (Erklärung oder
Konvention) zum Schutz des sogenannten "immateriellen
Erbes", wozu kulturelle Räume und Formen kulturellen
Ausdrucks zählen: Sprachen, mündliche Literaturformen, handwerkliche
Fähigkeiten, Bräuche, Spiele, Musik und Tanz. Auch zum Schutz
des Kulturerbes unter Wasser hat die UNESCO eine Konvention
verabschiedet, mit der die Staatengemeinschaft den zunehmenden
Plünderungen dieser kulturhistorisch wichtigen archäologischen
Spuren unserer Vorfahren entgegenwirkt. Diese neue Konvention
tritt in Kraft, sobald 20 Staaten sie ratifiziert haben.
Wertschätzung
des Erbes der Welt
UNESCO-Generaldirektor
Koïchiro Matsuura hat die Ausrufung des UNO-Jahres für das
Kulturerbe ausdrücklich begrüßt und erhofft sich von dem Internationalen
Jahr 2002 "breite Unterstützung für das UNESCO-Programm
zum Schutz des kulturellen Erbes, eine intensivere Kooperation
zwischen den VN-Organisationen, eine Stärkung der nationalen
Aktivitäten zum Kulturgutschutz, bessere gegenseitige Unterstützung
der Staaten bei der Erhaltung ihres Erbes sowie Partnerschaften
und zusätzliche finanzielle Ressourcen".
Tatsächlich
ist trotz aller Erfolge der Welterbekonvention, die man im
Jahr des Kulturerbes gebührend feiern mag, eine noch intensivere
Zusammenarbeit der Völkergemeinschaft in Sachen Kulturgutschutz
wichtig. Dies zeigt schon die Tatsache, dass mit dem Anwachsen
der Welterbeliste auf derzeit 721 Stätten ebenso ein Anwachsen
der Zahl der Stätten, die auf die "Liste des bedrohten
Welterbes" gesetzt werden mussten, einhergeht: 31 Stätten,
vorwiegend in Entwicklungsländern, werden auf dieser "Roten
Liste" der UNESCO geführt und sind auf die Hilfe der
Völkergemeinschaft angewiesen. Wenn es um die internationale
Zusammenarbeit beim Kulturgutschutz geht, dann kommt für das
bedrohte Welterbe ärmerer Staaten ein Jahr des Kulturerbes
gerade recht. Ein internationaler Wettbewerb um die vordersten
Ränge in der Welterbeliste hat dagegen wenig mit Kulturgutschutz
und ebenso wenig mit der völkerverbindenden Idee der Welterbekonvention
zu tun. Um die Mitverantwortung auch für das Erbe fremder
oder Minderheitskulturen geht es.
Kulturdialog
und Entwicklung
Alte
Bräuche geraten in Vergessenheit, Fresken verblassen, Paläste
stürzen ein. Die Globalisierung birgt die Gefahr der Vereinheitlichung
von Kultur. Jedes Volk braucht sein kulturelles Erbe zum Leben,
als Spur zu seiner Geschichte, als Symbol seiner Identität
und als Ausdruck seiner Lebensweise. Das kulturelle Erbe ist
eine Brücke der Verständigung zwischen Vergangenheit und Zukunft
und der Schlüssel zum Verstehen anderer Kulturen. Wo ein Dialog
zwischen den Kulturen stattfindet, dort herrscht Frieden zwischen
den Völkern.
Doch
das Kulturerbe ist zerbrechlich. Vor einem Jahr schockierte
die Zerstörung der zwei gigantischen 1.500 Jahre alten Buddha-Statuen
in Afghanistan die Weltöffentlichkeit. Kultureller Vandalismus
passierte auch in anderen Teilen der Welt. 1992 zerstörten
Extremisten eine Moschee in Ayodhya, Indien. Im Kosovo ist
islamisches Erbe den "ethnischen Säuberungen" zum
Opfer gefallen. Während des Kriegs, der das ehemalige Jugoslawien
verwüstete, waren kulturelle Wahrzeichen Zielscheiben der
Zerstörung.
Während
in Zeiten des Krieges Kulturgüter als Symbolträger nationaler
oder religiöser Identität gezielt zerstört wurden, sind sie,
wenn der Frieden wiedergekehrt ist, oft Mittler im Prozess
der Versöhnung. Heute koordinieren die UNESCO und die Weltbank
den Wiederaufbau der Brücke von Mostar. In einem Land, in
dem immer noch religiöse und ethnische Feindseligkeiten spürbar
sind, arbeiten Kroaten und Bosnier Seite an Seite am Wiederaufbau
der kulturellen Wahrzeichen und gewinnen wieder gegenseitiges
Vertrauen.
In
seiner Botschaft zum Internationalen Jahr 2002 betont UNESCO-Generaldirektor
Matsuura, dass das Kulturerbe nicht nur ein Instrument für
Frieden, Versöhnung und gegenseitiges Verständnis ist, sondern
auch ein wichtiger Faktor der Entwicklung. Kulturerbe-Management
hilft dabei, die wirtschaftlichen Aktivitäten eines Landes
wiederzubeleben, so in Kambodscha:
In
Kambodscha war Angkor immer ein Symbol für den Traum der Einheit.
Die Aufnahme der Tempelstätte in die UNESCO-Welterbeliste
1992 begleitete den nationalen Versöhnungsprozess und war
gleichzeitig auch der Beginn der ökonomischen Entwicklung
Angkors. Die Zahl der Besucher Angkors ist von 7.638 in 1993
auf 239.091 in 2001 angestiegen. Allein die Eintrittspreise
für den Besuch der Tempelanlage betrugen im Jahr 2000 über
fünf Millionen US-Dollar. Zehntausende von Jobs sind im Tourismus,
im Bereich Gastwirtschaft und Hotelgewerbe und im Handwerksbereich
bei der Instandhaltung der Stätte entstanden.
Dialog
und Entwicklung sind für die UNESCO die Hauptthemen im Jahr
des Kulturerbes.
Bewahrung
kultureller Vielfalt
Gerade
rechtzeitig zum Internationalen Jahr des Kulturerbes hat die
UNESCO die "Allgemeine Erklärung zur kulturellen Vielfalt"
verabschiedet. Darin wird "bekräftigt, dass Kultur als
Gesamtheit der unverwechselbaren geistigen, materiellen, intellektuellen
und emotionalen Eigenschaften angesehen werden sollte, die
eine Gesellschaft oder eine soziale Gruppe kennzeichnen, und
dass sie über Kunst und Literatur hinaus auch Lebensformen,
Formen des Zusammenlebens, Wertesysteme, Traditionen und Überzeugungen
umfasst". Der "Respekt vor der Vielfalt der Kulturen"
wird angemahnt; die UNESCO strebt "eine umfassendere
Solidarität auf der Grundlage der Anerkennung kultureller
Vielfalt, in dem Bewusstsein der Einheit der Menschheit, und
in der Entwicklung interkulturellen Austausches an".
Die Ziele des Internationalen Jahrs des Kulturerbes sind damit
bereits formuliert. Folgt man dem erweiterten Kulturbegriff
der UNESCO, dann kann es im Jahr des Kulturerbes auch nicht
allein um den Schutz des "Kulturerbes zum Anfassen"
gehen. Gleichviel schützenswert ist beispielsweise das Kulturerbe
Sprache. Der UNESCO-Weltatlas der gefährdeten Sprachen zeigt
auf, dass etwa die Hälfte der weltweit 6.000 Sprachen bedroht
ist. Der Bewahrung des oralen und immateriellen Kulturerbes
hat die UNESCO ein eigenes Programm gewidmet, ebenso dem Schutz
des dokumentarischen Erbes der Menschheit in Ton, Film, Bild
und Schrift im Rahmen des Programms "Memory of the World".
Alle diese Programme verdienen im Jahr des Kulturerbes besondere
Aufmerksamkeit.
Wenn
es gelingt, die Proklamation des Kulturjahres durch die VN-Generalversammlung
tatkräftig umzusetzen, die Mitgliedstaaten zu verstärkter
kultureller Zusammenarbeit anzuregen, Partnerschaften und
zusätzliche finanzielle Ressourcen zu mobilisieren, dann wird
das Jahr des Kulturerbes zweifelsohne auch ein Erfolgsjahr
für die UNESCO.
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veröffentlicht
2002 |
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Der
Artikel ist erschienen in: UNESCO heute, Zeitschrift
der Deutschen UNESCO-Kommission, Ausgabe 1-2, 2002.
S. 24-26.
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