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Wissen und Können erhalten

Fachsymposium diskutierte deutschen Beitrag zur UNESCO-Konvention zum immateriellen Kulturerbe

Von Kurt Schlünkes

Das Genossenschaftswesen, der Karneval, traditioneller Instrumentenbau und Chorgesang zählen zu den Vorschlägen für das bundesweite Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes. Das Interesse an Wissenstraditionen und Bräuchen in Deutschland ist groß. Seit Juli dieses Jahres ist Deutschland Vertragsstaat der UNESCO-Konvention zur Erhaltung des immateriellen Kulturerbes. Wie die Konvention in der Praxis umgesetzt werden kann, beriet die Deutsche UNESCO-Kommission bei einem Fachsymposium am 30. Oktober in Berlin.

Mit dem Beitritt zu der UNESCO-Konvention seien große Chancen verbunden, das kulturelle Gedächtnis in Deutschland neu zu entdecken und für die Zukunftsgestaltung nutzbar zu machen. Professor Christoph Wulf, Vizepräsident der Deutschen UNESCO-Kommission und Vorsitzender des Expertenkomitees Immaterielles Kulturerbe der DUK, betonte in seinem Grußwort: "Die Aufmerksamkeit für das immaterielle Kulturerbe soll dazu führen, dass gelebte Traditionen erhalten, fortgeführt und dynamisch weiterentwickelt werden. Wir suchen das Wissen, das unsere Gesellschaft zukunftsfest macht." Es gehe also nicht darum, Bräuche museal zu konservieren. Die Erstellung eines bundesweiten Verzeichnisses des immateriellen Kulturerbes sei kein Wettbewerb, sondern eine Bestandsaufnahme kultureller Traditionen in Deutschland.

Zahlreiche Vorschläge für das bundesweite Verzeichnis

Noch bis zum 30. November 2013 können sich Vereine und Verbände bei den Kulturministerien der Länder um die Aufnahme in das bundesweite Verzeichnis bewerben. Die Vorschläge reichen vom Karneval, der Chortradition und dem Instrumentenbau über das Köhlerhandwerk bis hin zum traditionellen Schaftrieb. An der Frage, welche Kulturformen, lokalen Traditionen und Bräuche besonderen Erhaltungsbedarf haben, entspann sich eine lebhafte Debatte zwischen den rund 150 teilnehmenden Experten, darunter Kulturpolitiker, Wissenschaftler, Heimatforscher, Vertreter von Tanz-, Musik- und Handwerkstraditionen und Verbänden.

Zwei intensive Diskussionsrunden gaben Anregungen für die künftige Umsetzung der Konvention in Deutschland. Diskutiert wurden Kriterien für interessante Formen immateriellen Kulturerbes, zum Beispiel Kulturformen, die traditionell seit mehreren Generationen einen Beitrag zu nachhaltiger Entwicklung, zu sozialem Zusammenhalt und zur Streitschlichtung in Gemeinschaften leisten. Auch über das Thema Wertschätzung und Bewusstseinsbildung wurde gesprochen: Wie kann die Bedeutung der Vielfalt und Formen immateriellen Kulturerbes für das Funktionieren unserer Gesellschaften anschaulich dargestellt werden? Aus den gesammelten Anregungen der Diskussionen wird ein Ergebnispapier des Fachsymposiums erstellt.

Debatte um den Begriff der "Volkskultur"

Wulf ging in seinem Grußwort auch auf die Begriffe der "Volkskultur" und "Folklore" ein: "Im Nationalsozialismus und in der DDR wurde der Begriff der Volkskultur instrumentalisiert, bei vielen Deutschen löst der Gedanke daran immer noch Unbehagen aus", sagte Wulf. "Die Brüche der deutschen Kulturgeschichte haben bis heute einen starken Nachhall – die Kolonialzeit, der Nationalsozialismus, der Holocaust, die deutsche Teilung. Deshalb müssen diese Brüche in der deutschen Kulturgeschichte auch in die Diskussion einbezogen werden." Es liege aber auch eine Chance darin, "Volkskultur" aus demokratischen Ansätzen neu zu gestalten.

Monika Grütters, in der vergangenen Legislaturperiode Vorsitzende des Ausschusses für Kultur und Medien des Deutschen Bundestags, sprach in ihrem Grußwort noch einmal die Gründe an für das Zögern Deutschlands, der Konvention beizutreten: "Die weit gefasste Definition des immateriellen Kulturerbes in Artikel 2 der UNESCO-Konvention stand unter dem Vorbehalt, dass 'nur dasjenige immaterielle Kulturerbe Berücksichtigung findet, das mit den bestehenden internationalen Menschenrechtsübereinkünften sowie mit dem Anspruch gegenseitiger Achtung von Gemeinschaften, Gruppen und Einzelpersonen in Einklang steht'. Die Aufnahme dieser Bestimmung in den Konventionstext war unser deutsches Anliegen." Erst die Erfolge der europäischen Nachbarn bei der beginnenden Umsetzung der Konvention hätten die Bedenken in Deutschland zerstreut, so Monika Grütters, "dort erkennt man die immaterielle Kultur als Quelle der Inspiration und Identität, als Ausgangspunkt für interkulturellen Austausch, als Möglichkeit zur Integration".

Lebendige Kulturtraditionen heute sichtbarer und geschätzt

Susanne Schnüttgen, Leiterin der Abteilung Capacity Building im Pariser UNESCO-Sekretariat für das immaterielle Kulturerbe, zog anlässlich des zehnjährigen Bestehens der Konvention ein Resümee: "Die Konvention von 2003 hat den internationalen Diskurs um die Definition und die Bedeutung des kulturellen Erbes erheblich erweitert. Noch vor zehn Jahren war der Begriff des immateriellen Kulturerbes fast unbekannt und wurde nur von einer kleinen Gruppe von Experten verwendet. Heute wird das immaterielle Kulturerbe als wertvoller und integraler Teil des Kulturerbes der Menschheit anerkannt." Schnüttgen wies jedoch darauf hin, dass es in vielen Ländern noch an Geld und Personal fehle, um die Konvention erfolgreich umzusetzen. Heute profitierten aber bereits 64 UNESCO-Mitgliedstaaten von Capacity Building-Maßnahmen, für die aus dem Fonds der Konvention rund zwölf Millionen US-Dollar zu Verfügung stehen.

Internationale Praxisbeispiele vorgestellt

Auf dem Symposium wurde auch eine Reihe internationaler Modellprojekte zur Umsetzung der Konvention vorgestellt. Besonders erfolgreiche Modelle zur Erhaltung des immateriellen Kulturerbes werden von der UNESCO für das Register guter Praxisbeispiele ausgewählt. Sie sollen lokale, regionale oder nationale Projekte bekannt machen, die modellhaft die Grundsätze und Ziele des Übereinkommens widerspiegeln. Nach Ansicht von Christoph Wulf sollte Deutschland sein besonderes Augenmerk auf dieses Register legen. Vor allem in den Bereichen Darstellende Kunst, Handwerk, traditionelle Wissensformen und Fertigkeiten gebe es in Deutschland viele gute Praxisbeispiele, wie diese Kulturformen weitergetragen und erhalten werden können. "Ein schöner Beitrag wäre es doch, Deutschlands Erfahrungen beim Aufbau effektiver Wissensspeicherung und -vermittlung als erfolgreiches Modell mit Entwicklungsländern zu teilen", sagte Wulf.

Die Teilnehmer nutzten das Fachsymposium zum intensiven Austausch. Reges Interesse fand auch die Posterpräsentation, die von Wissenschaftlern, Nachwuchsforschern und Kulturmanagern erstellt worden war. Auf 20 Postern wurden aus Sicht von Wissenschaft und Praxis innovative Zugänge zum immateriellen Kulturerbe in Deutschland vorgestellt.

Das UNESCO-Übereinkommen bietet die Möglichkeit, eine moderne Praxis der Pflege des immateriellen Kulturerbes voranzubringen. Der erste technische Schritt zur Umsetzung der Konvention in Deutschland ist die Erstellung eines bundesweiten Verzeichnisses des immateriellen Kulturerbes. Erstmals wird damit das vielfältige Spektrum der kulturellen Ausdrucksformen in Deutschland erfasst. Verbunden damit sind Maßnahmen zur Sicherstellung des Fortbestands des immateriellen Kulturerbes, einschließlich der Dokumentation, Forschung und Bildung zur Weitergabe dieses Erbes.

Mehrstufiges Aufnahmeverfahren

In einem bundesweiten Bewerbungsverfahren können sich Vereine, Institutionen und nichtstaatliche Organisationen für die Aufnahme in das deutsche Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes bewerben. Danach folgt ein mehrstufiges Auswahlverfahren. Jedes Bundesland trifft aus den Bewerbern eine Vorauswahl und übermittelt bis zu zwei Vorschläge an die Kultusministerkonferenz. Das Sekretariat der KMK erstellt aus den 32 länderspezifischen und maximal zwei länderübergreifenden Bewerbungen eine Vorschlagsliste, die an das Expertenkomitee für das immaterielles Kulturerbe der DUK weitergeleitet wird. Das Komitee prüft und bewertet die Dossiers nach fachlichen Kriterien. Die KMK und der Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien bestätigen abschließend die Auswahlempfehlungen des Expertenkomitees. Erst nach dem nationalen Auswahlverfahren Ende 2014 können dann die ersten Nominierungen aus Deutschland für die internationalen Listen des immateriellen Kulturerbes bei der UNESCO in Paris eingereicht werden.

 
veröffentlicht 2013

Der Artikel ist im November 2013 auf dem Webportal
unesco.de erschienen.

   
 Der Artikel ist erschienen in unesco heute online, Newsletter der Deutschen UNESCO-Kommission, November 2013.    
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