Auf
dem Weg zu nachhaltigen Wirtschaftsmodellen
Das
Biosphärenreservat Schaalsee
Von
Kurt Schlünkes
Auf
dem Schaalsee ist Surfen verboten. Er ist Schutzgebiet für
Fischotter, Rotbauchunke und das Moderlieschen. Rund um den
Schaalsee werden Umweltforschung und Umweltbildung betrieben.
Die Erhaltung der Ökosysteme ist hier Programm, und die Besucher
und die ortsansässige Bevölkerung halten sich daran. Seit
Januar ist die Schaalsee-Region in Mecklenburg offiziell als
UNESCO-Biosphärenreservat anerkannt.
»Insel
der froheren Einsamkeit
Geliebte Gespielin des Widerhalls
Und des Sees, welcher ist breit, dann versteckt
Wie ein Strom, rauscht an des Waldes Hügeln umher.
Flüchtige Stunden verweilt ich nur
An deinem melodischen Schilfgeräusch
Doch verläßt nie dein Phantom meinen Geist.«
Am
Ufer des Sees, unter einer Eiche sitzend, beschrieb Kloppstock
1767 in einem Gedicht die Insel Stintenburg im Schaalsee.
Die alte Eiche steht heute noch und trägt den Namen "Kloppstock-Eiche".
Das idyllische Bild des Dichters vom einsamen See und dem
rauschenden Schilf lässt sich noch nachempfinden. Ruhig liegt
er da, "mal breit, dann versteckt, wie ein Strom"
– nur aus der Luft kann man die bizarre Form des Schaalsees
mit seinen vielen Buchten, Inseln und Halbinseln erkennen.
Die
Gletscher der Weichseleiszeit formten das wellige Grund- und
Endmoränenland der Schaalsee-Region. Als sie abtauten, spülten
die Schmelzwasser Hohlformen und Rinnen aus und ließen Seen,
Moore und Sümpfe entstehen. Seit etwa 5.000 Jahren ist der
Mensch der Gestalter der Kulturlandschaft und hat auch zu
ihrem Artenreichtum beigetragen. Ohne sein Wirken wäre der
größte Teil der Region heute von Buchenwäldern bedeckt. Doch
prägen Feuchtwiesen, Kleingewässer, Hecken und Alleen das
Landschaftsbild des "Scaal-Sees" – Steinsee – wie
die Slawen den Schaalsee nannten, die bis ins 10. Jahrhundert
an seinen Ufern siedelten. Ein reizvolles Kulturland ist entstanden,
ein Mosaik aus Weide- und Ackerland, Bruchwäldern und Siedlungen.
Im 18. Jahrhundert legten Bauern die Techiner Heckenlandschaft
an. Reich verzierte Bauernhäuser, imposante Gutshöfe, alte
Kirchen und das Kloster von Zarrentin erzählen vom Leben der
früheren Generationen.
Von
"modernen" Bebauungs- und Wirtschaftsmethoden blieb
die Schaalsee-Region weitgehend verschont. Dafür hat die jüngere
deutsche Geschichte gesorgt. In staatlich angeordneter Zwangsruhe,
im ehemaligen Sperrgebiet entlang der Grenze zwischen DDR
und BRD konnte die Natur sich über 40 Jahre fast ohne jeglichen
menschlichen Nutzungsdruck entfalten. So blieb die Landschaft
in ihrem Strukturreichtum und ihrer Harmonie erhalten, und
es entwickelte sich eine außergewöhnliche Arten- und Biotopvielfalt.
Viele seltene und teils vom Aussterben bedrohte Tiere und
Pflanzen sind Indikatoren für intakte Umweltverhältnisse.
1990,
auf der letzten Sitzung des Ministerrates der DDR, wurde der
Schaalsee als Naturpark unter Schutz gestellt. 1994 beantragte
der Umweltminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern beim
Deutschen MAB-Nationalkomitee, der UNESCO den Schaalsee zur
Anerkennung als Biosphärenreservat zu empfehlen. Auf Länderebene
wurde der "Naturpark" bereits im Juli 1998 in "Biosphärenreservat
Schaalsee" umbenannt. Die offizielle Anerkennung als
UNESCO-Biosphärenreservat hat der Internationale Koordinierungsrat
für MAB nun auf seiner Sitzung vom 19. bis 21. Januar 2000
in Paris bestätigt. Der Schaalsee ist damit das 14. UNESCO-Biosphärenreservat
in Deutschland und Teil eines weltweiten Netzes von insgesamt
368 Schutzgebieten dieser Art in 91 Ländern.
Biosphärenreservate
machen den Kern des ökologischen UNESCO-Programms "Der
Mensch und die Biosphäre" (MAB) aus. Es sind repräsentative
Natur- und Kulturlandschaften, in denen Modelle für eine umweltgerechte
Bewirtschaftung entwickelt, erprobt und umgesetzt werden.
Naturschutz, Umweltforschung und Umweltbildung sind weitere
Aufgaben der Biosphärenreservate.
Entsprechend
der unterschiedlichen Schutzziele ist das Biosphärenreservat
Schaalsee mit einer Gesamtfläche von 30.257 Hektar in Kernzonen
(1.163 Hektar), Pflegezonen (5.173 Hektar) und Entwicklungszonen
(23.921 Hektar) unterteilt. Die Kernzonen – dazu gehören die
Verlandungszonen der Seen, Moore und strukturreiche Laubwälder
– sind das wichtigste Reservoir der genetischen Ressourcen
und dienen auch der ökologischen Forschung. Die Pflegezonen
bezwecken die Erhaltung der charakteristischen Eigenart der
Schaalsee-Landschaft. Hierzu zählen besonders naturnahe Wälder,
extensiv genutzte Grünländereien und Sukzessionsflächen. Kern-
und Pflegezonen sind als Naturschutzgebiete rechtlich geschützt.
Im größten Teil des Biosphärenreservats, in den Entwicklungszonen,
steht die Förderung einer nachhaltigen wirtschaftlichen Entwicklung
im Mittelpunkt. Ziel ist es, die Landnutzer dafür zu gewinnen,
die Nutzungsart und -intensität an den Standorteigenschaften
und der Umweltverträglichkeit zu orientieren.
Über
70 Prozent des Biosphärenreservats sind Acker- und Grünland.
Die Naturschutzgebiete machen zusammen gerade 17 Prozent der
Fläche aus. 18 Prozent sind Waldfläche, 10 Prozent Moore,
etwa 9 Prozent Wasser mit insgesamt elf Seen. 2,3 Prozent
sind Siedlungsfläche. Rund 9.200 Einwohner leben in dem Biosphärenreservat
im Landkreis Ludwigslust. Es liegt im Westen Mecklenburgs
an der Landesgrenze zu Schleswig-Holstein. Im Süden erstreckt
es sich bis nach Zarrentin und im Nordosten bis Rehna und
Gadebusch.
Naturschutz
Nur
noch an wenigen Orten in Europa sind die kratzenden Rufe des
Wachtelkönigs zu hören. Sie klingen, als führe man mit den
Zähnen eines Kammes auf einem Holzstück hin und her. Dieser
Stimme verdankt der seltene Vogel seinen wissenschaftlichen
Namen Crex crex. Am Schaalsee zieht er seine Jungen auf, bevor
er die Winterreise in den Süden Afrikas antritt. Für den Vogelzug
und als Mauserplatz für Wasservögel hat das Biosphärenreservat
Schaalsee große Bedeutung. Dies spiegelt sich auch in der
Anerkennung als EU-Vogelschutzgebiet wider. Bisher wurden
211 Vogelarten nachgewiesen. Weißstörche, Kormorane und Kraniche
gehören zu den bis zu 20.000 gefiederten Sommergästen der
Region. Seeadler und Rohrdommel bauen hier ihre Nester. Letztere
gilt als Leitart für nahezu ungestörte Naturräume. Unzählige
Wasservögel, Haubentaucher, Graugänse und Reiherenten schnattern
im breiten Schilfröhricht am Schaalsee, am Mechower See, Röggeliner
See und Dutzower See um die Wette.
Der
Schaalsee ist mit 72 Metern der tiefste See Norddeutschlands.
Sein Tiefenwasser hat das ganze Jahr über eine Temperatur
nahe dem Gefrierpunkt: ein Lebensraum der ausschließlich angepassten
Tierarten vorbehalten ist, wie der Großen Maräne. Sie ist
ein typisches Eiszeitrelikt. Nur in den Seen, die auch nach
der langsamen Erwärmung bis in die heutige Zeit kalt blieben,
konnte der lachsartige Fisch überleben.
Seltene
Fische mit seltsamen Namen wie Aalquappe, Güster, Schlammpeizker
und das "Moderlieschen" – ein kleiner Karpfenfisch
– tummeln sich im Schaalsee. Im und am Wasser leben Fischotter,
Rotbauchunke und Laubfrosch. Zu den botanischen Seltenheiten
der Region zählen Sonnentau, Wollgräser, Orchideen, Schlüsselblume
und Königsfarn.
Vieles
gibt es in der Schaalsee-Landschaft zu bestaunen und lockt
Erholungssuchende in Scharen herbei. Wer aber "Natur
pur" genießen möchte, hat einige Regeln zu beachten:
Surfen und Motorboote sind nicht gestattet, Baden ist nur
an ausgewiesenen Badestellen erlaubt. Die Wasserfreunde werden
aufgefordert: "Verlassen sie die Badestelle im sauberen
Zustand und nehmen sie ihre Picknick-Abfälle wieder mit."
Angeln darf nur, wer eine Angelkarte für das jeweilige Gewässer
besitzt. Doch sind die Verbote als Gebote zu verstehen für
einen sanften Tourismus im Einklang mit der Natur.
In
Zarrentin kann man sich Ruder- und Tretboote ausleihen. Radfahrer
sind im Biosphärenreservat willkommen. Wanderfreunde können
auf über 180 Kilometern ausgewiesenen Wegen die Natur entdecken.
"Naturschutz als Erlebnis" heißt das Motto. Dafür
wirbt das Pahlhuus am südlichen Zipfel des Schaalsees.
Umweltbildung
Das
Pahlhuus ist das Informationszentrum des Schutzgebietes und
zugleich Sitz des Amtes für das Biosphärenreservat Schaalsee.
Auch die Geschäftsstelle des Fördervereins Biosphäre Schaalsee
e.V. befindet sich in diesem Haus.
Nur
wenige Besucher wissen mit dem Begriff "Biosphärenreservat"
etwas anzufangen. Die Naturschützer vor Ort erklären: Der
Begriff setzt sich zusammen aus Biosphäre (Lebensraum) und
Reservat (lateinisch reservare, bewahren). UNESCO-Biosphärenreservate
sollen erlebbar machen, wie der Mensch die Natur nutzen kann,
ohne sie zu zerstören. Umweltbildung ist eine wichtige Aufgabe
des Pahlhuus. Auf dem Programm stehen Ausstellungen, Exkursionen
und geführte Wanderungen, zum Beispiel "Natur als Apotheke",
"Kräuterwanderung" oder die "Vogelstimmenführung",
eine ornithologische Exkursion durch das Kalkflachmoor. Kinder
können sich über die "Bunte Welt der Schmetterlinge"
freuen. 40 Tagfalter- und über 400 Nachtfalterarten gibt es
im Biosphärenreservat Schaalsee, nebst 500 Käferarten und
50 Libellenarten. Für Schüler gibt es Projekttage, Naturerlebniscamps
und die Ferien-Spaß-Woche. Für Schulklassen werden Radtouren
und Wandertage unter fachkundiger Leitung der Naturwacht angeboten.
Das
Pahlhuus verfügt über ein multimediales Informationssystem.
Per Animationen und Computerprogrammen werden den Besuchern
Informationen vielfältigster Art über das Schutzgebiet vermittelt,
angefangen von der historischen Landschaftsentwicklung, über
die Eiszeit und die Entstehung der Moore, bis hin zu einem
digitalen "Durchflug" durch den Schaalsee mit ungeahnten
Einblicken in die dunkle Unterwasserwelt.
Umweltgerechtes
Wirtschaften und Regionalentwicklung
Das
Konzept des UNESCO-Biosphärenreservats legt Wert darauf, die
Ziele einer umweltverträglichen Entwicklung gemeinsam mit
den hier lebenden und arbeitenden Menschen umzusetzen. Der
eigentliche Schwerpunkt ist damit die nachhaltige Regionalentwicklung
entsprechend der Agenda 21. Der Schutz der Natur soll einhergehen
mit der Verbesserung der ökonomischen und sozialen Lebensbedingungen.
Das unterscheidet Biosphärenreservate von herkömmlichen Naturschutzgebieten.
In den Entwicklungszonen bestehen gegenüber einer Landnutzung
nach guter fachlicher Praxis kaum Einschränkungen. Der Pflege-
und Entwicklungsplan ist kein hoheitlicher Plan, für eine
freiwillige Umsetzung durch Eigentümer und Nutzer wird geworben.
Die
extensive Landwirtschaft, die wesentlich zum Erhalt des Artenreichtums
in der Schaalsee-Region beiträgt, wird durch Projekte wie
die "Naturschutzgerechte Grünlandhaltung" gefördert.
Zu den nachhaltigen Formen moderner Landwirtschaft gehört
beispielsweise auch die landschaftspflegende Mutterkuhhaltung.
In der Forstwirtschaft werden der Erhalt der strukturreichen
Wälder und der Umbau von Monokulturen zu mehr Naturnähe angestrebt.
Traditionelle Bauweisen werden wieder gepflegt, damit sich
die Siedlungsräume harmonisch in die Kulturlandschaft einfügen.
Die Rekonstruktion alter Bausubstanz nach ökologischen und
regionaltypischen Gesichtspunkten gehört ebenso zu den Zielen
des Biosphärenreservats wie die Verwendung sauberer und sanfter
Technologien, zum Beispiel regenerativer Energien.
Als
Anreiz für umweltgerechtes Wirtschaften vergibt die Schutzgebietsverwaltung
die Regionalmarke "Biosphärenreservat Schaalsee – Für
Leib und Seele". Diese erhalten Anbieter von besonders
umweltfreundlichen Produkten als Werbeinstrument für ihre
Leistungen. Auch in Informationsveranstaltungen des Pahlhuus,
wie dem "Biosphäre-Tag", werden die regionalen Anbieter
einbezogen. Hier können ökologisch wirtschaftende Landwirte
und umweltfreundliche Unternehmen ihre Produkte einer breiten
Öffentlichkeit präsentieren. Dass ein Biosphärenreservat auch
ein "Job-Motor" sein kann, zeigt der Existenzgründertag,
der 1998 zum ersten Mal im Pahlhuus durchgeführt wurde. Bei
Bewahrung der reichhaltigen Naturausstattung wurden zahlreiche
Einkommensmöglichkeiten für die Bewohner der Region erschlossen.
So bringt das Amt für das Biosphärenreservat Schaalsee neue
Initiativen für nachhaltige Wirtschaftsmodelle auf den Weg.
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veröffentlicht
2000 |
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