Home

Artikelwerkstatt

© CC BY-SA 4.0
Biosphaerenband Schaalsee-Elbe
 
 
Artikelliste
 

Auf dem Weg zu nachhaltigen Wirtschaftsmodellen

Das Biosphärenreservat Schaalsee

Von Kurt Schlünkes

Auf dem Schaalsee ist Surfen verboten. Er ist Schutzgebiet für Fischotter, Rotbauchunke und das Moderlieschen. Rund um den Schaalsee werden Umweltforschung und Umweltbildung betrieben. Die Erhaltung der Ökosysteme ist hier Programm, und die Besucher und die ortsansässige Bevölkerung halten sich daran. Seit Januar ist die Schaalsee-Region in Mecklenburg offiziell als UNESCO-Biosphärenreservat anerkannt.

»Insel der froheren Einsamkeit
Geliebte Gespielin des Widerhalls
Und des Sees, welcher ist breit, dann versteckt
Wie ein Strom, rauscht an des Waldes Hügeln umher.
Flüchtige Stunden verweilt ich nur
An deinem melodischen Schilfgeräusch
Doch verläßt nie dein Phantom meinen Geist.«

Am Ufer des Sees, unter einer Eiche sitzend, beschrieb Kloppstock 1767 in einem Gedicht die Insel Stintenburg im Schaalsee. Die alte Eiche steht heute noch und trägt den Namen "Kloppstock-Eiche". Das idyllische Bild des Dichters vom einsamen See und dem rauschenden Schilf lässt sich noch nachempfinden. Ruhig liegt er da, "mal breit, dann versteckt, wie ein Strom" – nur aus der Luft kann man die bizarre Form des Schaalsees mit seinen vielen Buchten, Inseln und Halbinseln erkennen.

Die Gletscher der Weichseleiszeit formten das wellige Grund- und Endmoränenland der Schaalsee-Region. Als sie abtauten, spülten die Schmelzwasser Hohlformen und Rinnen aus und ließen Seen, Moore und Sümpfe entstehen. Seit etwa 5.000 Jahren ist der Mensch der Gestalter der Kulturlandschaft und hat auch zu ihrem Artenreichtum beigetragen. Ohne sein Wirken wäre der größte Teil der Region heute von Buchenwäldern bedeckt. Doch prägen Feuchtwiesen, Kleingewässer, Hecken und Alleen das Landschaftsbild des "Scaal-Sees" – Steinsee – wie die Slawen den Schaalsee nannten, die bis ins 10. Jahrhundert an seinen Ufern siedelten. Ein reizvolles Kulturland ist entstanden, ein Mosaik aus Weide- und Ackerland, Bruchwäldern und Siedlungen. Im 18. Jahrhundert legten Bauern die Techiner Heckenlandschaft an. Reich verzierte Bauernhäuser, imposante Gutshöfe, alte Kirchen und das Kloster von Zarrentin erzählen vom Leben der früheren Generationen.

Von "modernen" Bebauungs- und Wirtschaftsmethoden blieb die Schaalsee-Region weitgehend verschont. Dafür hat die jüngere deutsche Geschichte gesorgt. In staatlich angeordneter Zwangsruhe, im ehemaligen Sperrgebiet entlang der Grenze zwischen DDR und BRD konnte die Natur sich über 40 Jahre fast ohne jeglichen menschlichen Nutzungsdruck entfalten. So blieb die Landschaft in ihrem Strukturreichtum und ihrer Harmonie erhalten, und es entwickelte sich eine außergewöhnliche Arten- und Biotopvielfalt. Viele seltene und teils vom Aussterben bedrohte Tiere und Pflanzen sind Indikatoren für intakte Umweltverhältnisse.

1990, auf der letzten Sitzung des Ministerrates der DDR, wurde der Schaalsee als Naturpark unter Schutz gestellt. 1994 beantragte der Umweltminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern beim Deutschen MAB-Nationalkomitee, der UNESCO den Schaalsee zur Anerkennung als Biosphärenreservat zu empfehlen. Auf Länderebene wurde der "Naturpark" bereits im Juli 1998 in "Biosphärenreservat Schaalsee" umbenannt. Die offizielle Anerkennung als UNESCO-Biosphärenreservat hat der Internationale Koordinierungsrat für MAB nun auf seiner Sitzung vom 19. bis 21. Januar 2000 in Paris bestätigt. Der Schaalsee ist damit das 14. UNESCO-Biosphärenreservat in Deutschland und Teil eines weltweiten Netzes von insgesamt 368 Schutzgebieten dieser Art in 91 Ländern.

Biosphärenreservate machen den Kern des ökologischen UNESCO-Programms "Der Mensch und die Biosphäre" (MAB) aus. Es sind repräsentative Natur- und Kulturlandschaften, in denen Modelle für eine umweltgerechte Bewirtschaftung entwickelt, erprobt und umgesetzt werden. Naturschutz, Umweltforschung und Umweltbildung sind weitere Aufgaben der Biosphärenreservate.

Entsprechend der unterschiedlichen Schutzziele ist das Biosphärenreservat Schaalsee mit einer Gesamtfläche von 30.257 Hektar in Kernzonen (1.163 Hektar), Pflegezonen (5.173 Hektar) und Entwicklungszonen (23.921 Hektar) unterteilt. Die Kernzonen – dazu gehören die Verlandungszonen der Seen, Moore und strukturreiche Laubwälder – sind das wichtigste Reservoir der genetischen Ressourcen und dienen auch der ökologischen Forschung. Die Pflegezonen bezwecken die Erhaltung der charakteristischen Eigenart der Schaalsee-Landschaft. Hierzu zählen besonders naturnahe Wälder, extensiv genutzte Grünländereien und Sukzessionsflächen. Kern- und Pflegezonen sind als Naturschutzgebiete rechtlich geschützt. Im größten Teil des Biosphärenreservats, in den Entwicklungszonen, steht die Förderung einer nachhaltigen wirtschaftlichen Entwicklung im Mittelpunkt. Ziel ist es, die Landnutzer dafür zu gewinnen, die Nutzungsart und -intensität an den Standorteigenschaften und der Umweltverträglichkeit zu orientieren.

Über 70 Prozent des Biosphärenreservats sind Acker- und Grünland. Die Naturschutzgebiete machen zusammen gerade 17 Prozent der Fläche aus. 18 Prozent sind Waldfläche, 10 Prozent Moore, etwa 9 Prozent Wasser mit insgesamt elf Seen. 2,3 Prozent sind Siedlungsfläche. Rund 9.200 Einwohner leben in dem Biosphärenreservat im Landkreis Ludwigslust. Es liegt im Westen Mecklenburgs an der Landesgrenze zu Schleswig-Holstein. Im Süden erstreckt es sich bis nach Zarrentin und im Nordosten bis Rehna und Gadebusch.

Naturschutz

Nur noch an wenigen Orten in Europa sind die kratzenden Rufe des Wachtelkönigs zu hören. Sie klingen, als führe man mit den Zähnen eines Kammes auf einem Holzstück hin und her. Dieser Stimme verdankt der seltene Vogel seinen wissenschaftlichen Namen Crex crex. Am Schaalsee zieht er seine Jungen auf, bevor er die Winterreise in den Süden Afrikas antritt. Für den Vogelzug und als Mauserplatz für Wasservögel hat das Biosphärenreservat Schaalsee große Bedeutung. Dies spiegelt sich auch in der Anerkennung als EU-Vogelschutzgebiet wider. Bisher wurden 211 Vogelarten nachgewiesen. Weißstörche, Kormorane und Kraniche gehören zu den bis zu 20.000 gefiederten Sommergästen der Region. Seeadler und Rohrdommel bauen hier ihre Nester. Letztere gilt als Leitart für nahezu ungestörte Naturräume. Unzählige Wasservögel, Haubentaucher, Graugänse und Reiherenten schnattern im breiten Schilfröhricht am Schaalsee, am Mechower See, Röggeliner See und Dutzower See um die Wette.

Der Schaalsee ist mit 72 Metern der tiefste See Norddeutschlands. Sein Tiefenwasser hat das ganze Jahr über eine Temperatur nahe dem Gefrierpunkt: ein Lebensraum der ausschließlich angepassten Tierarten vorbehalten ist, wie der Großen Maräne. Sie ist ein typisches Eiszeitrelikt. Nur in den Seen, die auch nach der langsamen Erwärmung bis in die heutige Zeit kalt blieben, konnte der lachsartige Fisch überleben.

Seltene Fische mit seltsamen Namen wie Aalquappe, Güster, Schlammpeizker und das "Moderlieschen" – ein kleiner Karpfenfisch – tummeln sich im Schaalsee. Im und am Wasser leben Fischotter, Rotbauchunke und Laubfrosch. Zu den botanischen Seltenheiten der Region zählen Sonnentau, Wollgräser, Orchideen, Schlüsselblume und Königsfarn.

Vieles gibt es in der Schaalsee-Landschaft zu bestaunen und lockt Erholungssuchende in Scharen herbei. Wer aber "Natur pur" genießen möchte, hat einige Regeln zu beachten: Surfen und Motorboote sind nicht gestattet, Baden ist nur an ausgewiesenen Badestellen erlaubt. Die Wasserfreunde werden aufgefordert: "Verlassen sie die Badestelle im sauberen Zustand und nehmen sie ihre Picknick-Abfälle wieder mit." Angeln darf nur, wer eine Angelkarte für das jeweilige Gewässer besitzt. Doch sind die Verbote als Gebote zu verstehen für einen sanften Tourismus im Einklang mit der Natur.

In Zarrentin kann man sich Ruder- und Tretboote ausleihen. Radfahrer sind im Biosphärenreservat willkommen. Wanderfreunde können auf über 180 Kilometern ausgewiesenen Wegen die Natur entdecken. "Naturschutz als Erlebnis" heißt das Motto. Dafür wirbt das Pahlhuus am südlichen Zipfel des Schaalsees.

Umweltbildung

Das Pahlhuus ist das Informationszentrum des Schutzgebietes und zugleich Sitz des Amtes für das Biosphärenreservat Schaalsee. Auch die Geschäftsstelle des Fördervereins Biosphäre Schaalsee e.V. befindet sich in diesem Haus.

Nur wenige Besucher wissen mit dem Begriff "Biosphärenreservat" etwas anzufangen. Die Naturschützer vor Ort erklären: Der Begriff setzt sich zusammen aus Biosphäre (Lebensraum) und Reservat (lateinisch reservare, bewahren). UNESCO-Biosphärenreservate sollen erlebbar machen, wie der Mensch die Natur nutzen kann, ohne sie zu zerstören. Umweltbildung ist eine wichtige Aufgabe des Pahlhuus. Auf dem Programm stehen Ausstellungen, Exkursionen und geführte Wanderungen, zum Beispiel "Natur als Apotheke", "Kräuterwanderung" oder die "Vogelstimmenführung", eine ornithologische Exkursion durch das Kalkflachmoor. Kinder können sich über die "Bunte Welt der Schmetterlinge" freuen. 40 Tagfalter- und über 400 Nachtfalterarten gibt es im Biosphärenreservat Schaalsee, nebst 500 Käferarten und 50 Libellenarten. Für Schüler gibt es Projekttage, Naturerlebniscamps und die Ferien-Spaß-Woche. Für Schulklassen werden Radtouren und Wandertage unter fachkundiger Leitung der Naturwacht angeboten.

Das Pahlhuus verfügt über ein multimediales Informationssystem. Per Animationen und Computerprogrammen werden den Besuchern Informationen vielfältigster Art über das Schutzgebiet vermittelt, angefangen von der historischen Landschaftsentwicklung, über die Eiszeit und die Entstehung der Moore, bis hin zu einem digitalen "Durchflug" durch den Schaalsee mit ungeahnten Einblicken in die dunkle Unterwasserwelt.

Umweltgerechtes Wirtschaften und Regionalentwicklung

Das Konzept des UNESCO-Biosphärenreservats legt Wert darauf, die Ziele einer umweltverträglichen Entwicklung gemeinsam mit den hier lebenden und arbeitenden Menschen umzusetzen. Der eigentliche Schwerpunkt ist damit die nachhaltige Regionalentwicklung entsprechend der Agenda 21. Der Schutz der Natur soll einhergehen mit der Verbesserung der ökonomischen und sozialen Lebensbedingungen. Das unterscheidet Biosphärenreservate von herkömmlichen Naturschutzgebieten. In den Entwicklungszonen bestehen gegenüber einer Landnutzung nach guter fachlicher Praxis kaum Einschränkungen. Der Pflege- und Entwicklungsplan ist kein hoheitlicher Plan, für eine freiwillige Umsetzung durch Eigentümer und Nutzer wird geworben.

Die extensive Landwirtschaft, die wesentlich zum Erhalt des Artenreichtums in der Schaalsee-Region beiträgt, wird durch Projekte wie die "Naturschutzgerechte Grünlandhaltung" gefördert. Zu den nachhaltigen Formen moderner Landwirtschaft gehört beispielsweise auch die landschaftspflegende Mutterkuhhaltung. In der Forstwirtschaft werden der Erhalt der strukturreichen Wälder und der Umbau von Monokulturen zu mehr Naturnähe angestrebt. Traditionelle Bauweisen werden wieder gepflegt, damit sich die Siedlungsräume harmonisch in die Kulturlandschaft einfügen. Die Rekonstruktion alter Bausubstanz nach ökologischen und regionaltypischen Gesichtspunkten gehört ebenso zu den Zielen des Biosphärenreservats wie die Verwendung sauberer und sanfter Technologien, zum Beispiel regenerativer Energien.

Als Anreiz für umweltgerechtes Wirtschaften vergibt die Schutzgebietsverwaltung die Regionalmarke "Biosphärenreservat Schaalsee – Für Leib und Seele". Diese erhalten Anbieter von besonders umweltfreundlichen Produkten als Werbeinstrument für ihre Leistungen. Auch in Informationsveranstaltungen des Pahlhuus, wie dem "Biosphäre-Tag", werden die regionalen Anbieter einbezogen. Hier können ökologisch wirtschaftende Landwirte und umweltfreundliche Unternehmen ihre Produkte einer breiten Öffentlichkeit präsentieren. Dass ein Biosphärenreservat auch ein "Job-Motor" sein kann, zeigt der Existenzgründertag, der 1998 zum ersten Mal im Pahlhuus durchgeführt wurde. Bei Bewahrung der reichhaltigen Naturausstattung wurden zahlreiche Einkommensmöglichkeiten für die Bewohner der Region erschlossen. So bringt das Amt für das Biosphärenreservat Schaalsee neue Initiativen für nachhaltige Wirtschaftsmodelle auf den Weg.

veröffentlicht 2000
   
 

Der Artikel ist erschienen in: UNESCO heute, Zeitschrift der Deutschen UNESCO-Kommission, Ausgabe 2-3, 2000. S. 52-54.

SITEMAP
Über uns Leistungen Referenzen Kontakt  
Profil Text & Redaktion Kunden Impressum  
Idee Web & Content-Pflege Referenzprojekte    
Partner PR-Beratung Artikelwerkstatt    
  Lektorat      
         
         
    kskom.de